IV. Das grösste Klassenzimmer der Welt

Das weltweit grösste Schulzimmer ist 1,3 Millionen km2 gross. Es liegt im Roten Zentrum Australiens. Die Alice Springs School of the Air verbindet im Outback lebende Kinder miteinander und mit ihren Lehrpersonen.

Gegründet wurde die Institution im Juni 1951. Frau Adelaide Miethke erkannte, dass Kinder in abgelegenen Gebieten kaum soziale Kontakte hatten. Sie wollte deshalb das Radio zur Vermittlung eines kindergerechten Schulunterrichts nutzen. Die ersten Radiostationen wurden noch mit Pedalen betrieben. Ähnliche Geräte wurden bereits seit 1926 von Alfred Hermann Traeger entwickelt und beim Royal Flying Doctor Service in Australien eingesetzt.

Ein „Schulweg“ von 1467 Kilometern

Wir besuchen das Herz der Schule in Alice Springs. Jolanda aus Holland erklärt uns das Schulsystem. Die Assistentin und Partnerin eines Lehrers führt uns durch die beiden Lehrstudios. Um sich in diese Schule einschreiben zu können, muss eine Familie mindestens 50 km von einer öffentlichen Schule entfernt wohnen. Sie bezahlt nach Möglichkeit ein Schulgeld. Manche Kinder leben auf Rinderfarmen, in Nationalparks, in Strassenraststätten oder in Gemeinschaften der Aborigines. Mehrere von ihnen leben schon in der dritten Generation an diesem Wohnort. Holly beispielsweise geht in die fünfte Klasse und wohnt 1467 Kilometer von den Lehrpersonen in Alice Springs entfernt.

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60 Jahre School of the Air in Alice Springs

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Historischer Pedalgenerator des Flying Doctor Service

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Schulassistentin Jolanda erklärt den Stundenplan und das Schulsystem

Anstelle des Radios ist heute das Internet getreten. Die Kinder werden von der Institution mit einem Computer, einer Satellitenantenne und oft auch mit einem Dieselaggregat für die Erzeugung von elektrischem Strom leihweise ausgerüstet. Der Lehrplan entspricht den Anforderungen der Volksschule. Eine Klasse hat zwischen 7 und 15 Schülern. Der Unterricht am Bildschirm dauert etwa zwei Stunden pro Tag. Die Unterrichtseinheiten werden meist per Post zugestellt und zur Korrektur an die Lehrpersonen zurückgesandt. Diese Post kommt per Flugzeug, per Lastwagen oder mit einer anderen Fracht zu den Lernenden. Für den Schulalltag ist eine Betreuung am Wohnort Pflicht. In 80 % ist es die Mutter, welche dieses Tutorat ausführt, manchmal aber auch der Vater oder eine angestellte Person. Die individuelle Unterrichtszeit muss selbst organisiert werden.

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Eines von zwei Lehrstudios der School of the Air

Das Händchen zum Anklicken

Der massgeschneiderte Unterricht am Bildschirm ist etwas ganz Besonderes. Das Anklicken des Händchens im Display ermöglicht es den Kindern zu strecken, wenn sie etwas wissen oder etwas sagen möchten. Zugleich können dort Fenster geöffnet werden, in welche auch die Tutoren miteinbezogen werden. Ergänzend gibt es für die Kinder die Möglichkeit, sich ganz persönlich mit der Klassenlehrperson telefonisch in Verbindung zu setzen. Diese ist an Schultagen von 08.00 bis 17.00 Uhr erreichbar.

Die Lehrkräfte reisen mindestens einmal jährlich zu den Kindern an ihren Wohnort, aus Sicherheitsgründen jedoch immer in Begleitung einer zweiten Person. Vorher müssen sie oft spezielle Fahrstunden auf Sand absolvieren, damit sie mit den 4WD angetriebenen Autos unterwegs nicht stecken bleiben. Auf einen solchen Besuch freuen sich die Kinder ganz besonders.

Auch Schlussprüfungen finden statt. Dann müssen die Kinder mit ihren Tutoren nach Alice Springs fahren. Sie wohnen eine Woche dort, manchmal bei Verwandten, manchmal auf einem Campingplatz. Danach gibt es je nach Klassenstufe eine Sport- und Intensivwoche oder gar eine wöchige Schulreise. Diese führte 2011 nach Tasmanien. Die meisten Kinder sahen dabei erstmals das Meer und erlebten sogar Schneefall. Sie trafen jetzt auch ihre Klassenkameraden persönlich. Es gab feuchte Augen und echte Umarmungen statt einem digitalen Händchen, ganz im Sinn der Schulgründerin Adelaide Miethke.

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Interaktiver Internetbildschirm mit einem Klassenlehrer 

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